Über Resilienz

Und eine Branche in der Krise

In einer Welt, die längst aus dem Gleichgewicht geraten ist

in einer schnelllebigen Gesellschaft, in der sich viele über Leistung und die eigene Performance definieren, in Arbeitswelten, die oftmals druckaufgeladen, konflikt- und risikobehaftet sind, ist es fundamental wichtig, für die eigene Gesundheit und das persönliche Wohlbefinden einzustehen – das innere Gleichgewicht zu wahren, regelmäßig innezuhalten, zu regenerieren und persönliche Ressourcen zu stärken. Ebenso bedeutend ist es geworden, sich für ein betriebliches Gesundheitsmanagement stark zu machen. Unternehmen und Teams gemeinschaftlich zu betrachten, zu schützen und präventiv für Herausforderungen zu stabilisieren.

Gerade in Kreativbranchen, erachte ich eine gestärkte persönliche und kollektive Resilienz als notwendig, um die eigene kreative Vision gesund ausleben und im Team erfolgreich und achtsam umsetzen zu können.

Filme, kreative Werke im Allgemeinen, können in ihrer Einzigartigkeit nur entstehen, wenn ihre Macher:innen ihre Leidenschaft dafür als gesunden, erfüllenden Motor erleben und nicht ausgebrannt und kurz vorm Burn Out immer weiter machen. Nein, auch nicht, wenn dies seit Jahren der „Normal“-Zustand ist und sich eine gewisse „so ist es eben“ Akzeptanz etabliert hat. Es geht auch anderes!

Als unabhängige Filmproduzentin kenne ich die Faszination dieser Arbeit, die Passion dahinter, das Gefühl von Berufung aber auch die Kehrseite – kreativer, finanzieller Druck, strukturelle Unsicherheiten, hoher emotionaler und zeitlicher Invest, phasenweise enormer Stress und oftmals ruppiger, unachtsamer, bis hin zu grenzüberschreitendem Umgang im Miteinander. Ob diese Phasen zu dauerhaftem ungesundem Stress oder gar zur Krise führen, wie wir durch diese hindurch- und ob wir am Ende gestärkt aus ihnen hervorkommen, hängt davon ab, wie wir ihnen begegnen. Und hier kommt Resilienz ins Spiel.

Die gute Nachricht ist: Jeder Mensch ist resilient. Die noch bessere: Wir können Resilienz ein Leben lang trainieren.

Was genau ist Resilienz?

Der Begriff Resilienz stammt aus der Physik und leitet sich von dem lateinischen Wort „resilire“ ab, was so viel bedeutet wie „zurückprallen“. Damit beschreibt es die Eigenschaft von Materialien, nach extremen Belastungen in ihre ursprüngliche Form zurückzukehren. Im übertragenen Sinne bezeichnet Resilienz die Fähigkeit eines Systems, Krisen mithilfe eigener Ressourcen zu bewältigen und sie als Anlass für nachhaltige Entwicklung zu nutzen.

Es existiert keine einheitliche Definition für Resilienz, da in der Forschung, abhängig von der jeweiligen Perspektive, unterschiedliche Faktoren der Resilienz in den Fokus gerückt werden. Daraus resultiert eine Vielzahl an Resilienz Modellen, was nochmals bestätigt, dass Resilienz ein individuelles und dynamisches Konzept ist, das als fortlaufender Entwicklungsprozess betrachtet werden sollte.

Zwei mögliche Definitionen sind

„Resilienz ist die Aufrechterhaltung, bzw. schnelle Wiederherstellung psychischer Gesundheit während oder nach Widrigkeiten (Stressor Exposition)“ – Raffael Kalisch, Der resiliente Mensch

„Resilienz ist die Fähigkeit, sich auf Stress, Herausforderungen oder Widrigkeiten vorzubereiten, darauf angemessen zu reagieren und sich davon wieder zu erholen“ – HeartMath

Stress ist nicht gleich Stress

In der Forschung wird zwischen positivem „Eustress“ und negativem „Disstress“ unterschieden. Eustress wird als aktivierende Belastung verstanden, bringt uns in Bewegung und trägt damit zur Problemlösung bei. Bei Disstress dagegen erscheinen uns Herausforderungen als nicht bewältigbar. Der Umgang mit ihnen überschreitet unsere Kompetenzen und unser System fühlt sich bedroht und gerät in Alarmbereitschaft.

Wie genau entsteht dieser Stress?

Stress aktiviert in unserem Gehirn unser emotionales Zentrum, die Amygdala. Um Energie zu sparen, fährt gleichzeitig die Aktivität unserer Steuerungszentrale für Emotionen (der präfrontale Kortex) herunter. Was bedeutet, dass wir kurzzeitig vergessen, wie wir auf Stress angemessen reagieren und wie wir bedacht Entscheidungen treffen können. Wir leiden an einer sogenannten „Kompetenz-Amnesie“ – der Unfähigkeit in Konflikt- oder Stresssituationen auf unsere „beschützenden“ Fähigkeiten zurückzugreifen – sind schlichtweg überfordert, Stressreaktionen entstehen.

Wie kann ich Resilienz stärken?

Im Resilienztraining geht es darum den Zugang zu diesen Kompetenzen und deren Anwendung zu stärken, um länger im positiven, aktivierenden Stress zu bleiben und auch schneller wieder Zugriff auf unsere Fähigkeiten zu erlangen, die uns Schutz, Struktur und emotionale Stabilität verleihen. Wenn auch die biochemischen Vorgänge im Körper bei Stressentstehung dieselben sind, so sind die Auslöser dafür zwar ähnlich, unterscheiden sich aber von Mensch zu Mensch dennoch. Deswegen ist die wichtigste Frage im Resilienztraining sicherlich die nach den persönlichen Stressoren und Protektoren.Was mich zu einem der wichtigsten Resilienzmodelle nach Sebastian Mauritz führt:

Resilienz als Balance zwischen Schutz- und Risikofaktoren

Wir können Risikofaktoren nicht gänzlich vermeiden – es geht immer um einen gesunden Ausgleich. Für ein gesundes System sollten Schutzfaktoren ganz klar überwiegen. Resilienz stärken kann man also, indem wir auf der einen Seite Schutzfaktoren (er-)kennen, einsetzen, stärken und auf der anderen Seite Risikofaktoren also solche (er-)kennen, reduzieren, vermeiden. (Dieselbe Formel kann gleichwohl auf Resilienz in Teams angewendet werden.) Neben diesem übergeordneten Modell gibt es verschiedene Kompetenzbereiche aus denen sich Resilienz zusammensetzt. Akzeptanz, Lösungsorientierung und Optimismus, um nur ein paar zu nennen – wobei ich Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion als grundlegende und wichtigste Kompetenzen erachte. All diese können wiederum durch verschiedene Übungen/Methoden gestärkt werden.

Wozu brauche ich Resilienz?

Resilienz als Widerstands-Fähigkeit in unser persönliches und unternehmerisches Management Skill Set zu integrieren, diese aktiv zu trainieren, kann nachhaltig die Brücke zu mentaler Gesundheit sein, uns ein erfüllteres und ausgewogenes Leben ermöglichen und einen achtsamen Umgang im Miteinander fördern – im betrieblichen wie im privaten Kontext. Im Ausbau dieser Fähigkeit können wir die eingangs erwähnte Kompetenz-Amnesie vorbeugen; uns auf mögliche Risiken vorbereiten oder diese gar umgehen; in Stressmomenten oder Phasen der Belastung auf unsere Ressourcen zurückgreifen; und uns nach einer Krise wieder erholen bzw. gestärkt aus dieser hervorkommen.

Was ist mentale Gesundheit?

Laut der WHO ist die mentale Gesundheit eine Grundvoraussetzung für den Menschen. Sie umfasst unser emotionales, psychisches und soziales Wohlbefinden und beeinflusst unser Denken, Fühlen und Handeln.

Die WHO schrieb dazu 2005: „Mentale Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“

In einer erweiterten Definition beschrieb die WHO 2019 die mentale Gesundheit als einen „Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann.“

Laut Schätzungen der WHO gehen die weltweit als besonders belastend eingestuften Erkrankungen größtenteils auf Stress zurück oder werden durch ihn verstärkt.

Eine Branche in der Krise

Dass sich die deutsche Filmbranche in einer Dauerkrise befindet, ist kein Geheimnis. „Der deutsche Film in der Krise“, „Das Kino in der Krise“, „Die Filmförderung in der Krise“, „Das Kino ist tot“ – so wird über den deutschen Film berichtet. Das geht freilich nicht spurlos an den Betroffenen vorüber und das Bedürfnis dem aktiv entgegen zu wirken ist groß. Um den deutschen Film zu retten, setzen sich zahlreiche Verbände und Initiativen proaktiv für ein zukunftsfähiges deutsches Filmsystem ein. Was unbedingt notwendig ist und vollste Anerkennung verdient.

Wo aber bleibt der Mensch, auf dessen Schultern diese Krise letztlich ausgetragen wird?

In unsicheren Zeiten, wie diesen, ist es höchste Zeit, ganz bewusst die mentale Gesundheit des Einzelnen in den Mittelpunkt zu rücken und sich darüber hinaus für ein betriebliches Gesundheitsmanagement einzusetzen, um Produktionsfirmen, Teams und andere Unternehmen aus diesen Branchen, nachhaltig zu stärken.

Gerade in einer Branche, in der überdurchschnittlich hohe Arbeitszeiten vorherrschen, ein enormer finanzieller Druck mitschwingt, strukturelle Unsicherheiten und ein rasanter Wandel des Auswertungsmarkts Filmschaffende in eine Dauerkrise stürzen, kreative Versagensängste den eigenen Selbstwert stark beanspruchen, Sorgen und Kummer regelmäßig weggesoffen werden, Burn Out zum guten Ton dazugehört – wo wenn nicht hier, muss Aufklärungsarbeit geleistet werden? Wo wenn nicht hier, muss mentale Gesundheit großgeschrieben werden? In riesigen Leuchtbuchstaben!

Nach über 10 Jahren Tätigkeit in dieser Branche zahlreichen Belastungsphasen und einer 2-jährigen Krise, die meinem Geschäftspartner und mir den Boden unter den Füßen weggerissen hat, widme ich mich dem Feld der Resilienz mit großer Faszination und erkenne darin großes Potenzial für persönliches und gemeinschaftliches Wachstum.

Manchmal muss man selbst erst durch eine Krise gehen, um daraus etwas zu ziehen, was man weitergeben und damit aktiv zur Veränderung beitragen kann.

 

Quellenverzeichnis: Resilienzakademie, Sebastian Mauritz